Die dynamische Welt der Sterilgutaufbereitung
Die dynamische Welt der Sterilgutaufbereitung
Als Personen, die in der Wiederaufbereitung von Medizinprodukten tätig sind, verstehen wir unsere zentrale Rolle bei der Patientenversorgung und die berechtigte Erwartung den direkt am Patienten arbeitenden Kollegen Medizinprodukte höchster Qualität zu liefern. Wir wissen auch, dass unsere Rolle ökonomisch äusserst wichtig ist, da sie die Anzahl möglicher chirurgischer Operationen und Patientenbehandlungen in unseren jeweiligen Gesundheitseinrichtungen und somit auch deren finanzielle Solidität beeinflusst. Doch versteht auch wirklich jeder, was hinter diesen technisch anspruchsvollen Prozess der Sterilgutaufbereitung steckt? Um unsere Branche stark zu positionieren, müssen wir als Fachkräfte die Besonderheiten unseres Alltags an der „Front“ und die zu bewältigenden Herausforderungen verstehen und kommunizieren können.
Lassen Sie uns einen Blick auf einige aufschlussreiche Fakten über unseren sich ständig weiterentwickelnden Bereich werfen.
Für die Wiederaufbereitung von Medizinprodukten besteht eine hohe Nachfrage
Angesichts der Zahl der jedes Jahr durchgeführten chirurgischen Eingriffe und der stetig steigenden Qualitätsanforderungen ist es nicht überraschend, dass ein hoher Bedarf an diesen einzigartigen Kompetenzen besteht, und angesichts der alternden Bevölkerung wird dieser noch weiter zunehmen. Die Lebenserwartung ist heute weltweit höher, und bei den meisten ist zu erwarten, dass sie älter als frühere Generationen werden. Bis 2050 wird laut Prognosen die Zahl an Menschen über 60 weltweit auf zwei Milliarden ansteigen. Aufgrund dessen wird die Nachfrage für Aufbereitung zwischen 2020 und 2030 voraussichtlich weltweit um 10 bis12 Prozent steigen, da ein beträchtlicher Anteil der Weltbevölkerung dann aus älteren Menschen bestehen wird, die auf medizinische Eingriffe angewiesen sein werden. Aus diesen grundlegenden Daten lässt sich schließen, dass Fachkräfte für Wiederaufbereitung in absehbarer Zukunft sehr gesucht sein werden.
Die Wiederaufbereitung von Medizinprodukten ist eine sehr arbeitsintensive Tätigkeit
Es gab in den letzten Jahren zwar einige Fortschritte bei der Automatisierung, wie z.B. automatisierte Be- und Entladung von Geräten oder den integrierten Bowie-Dick-Tests in Dampfsterilisatoren, um die Effizienz zu steigern und es den AEMP-Mitarbeitenden zu ermöglichen, sich auf Tätigkeiten zu konzentrieren, die nur von Menschen übernommen werden können. Dennoch sind die Abläufe in AEMP weiterhin sehr arbeitsintensiv. Während die meisten Gesundheitsberufe mit stundenlangem Stehen und Gehen verbunden sind, bleibt doch der AEMP-Bereich einer der physisch anstrengendsten Berufe in Krankenhäusern. So kann z. B. eine Abteilung 12 Lagerregale mit jeweils 5 Reihen umfassen, was insgesamt 60 Regalfächer mit Lagerbestand bedeutet. Diese Abteilung unterstützt 10 verschiedene Fachgebiete der Patientenversorgung, von denen jedes 25 bis150 Siebschalen umfasst. Es kann vorkommen, dass eine Fachkraft, bei einem Gesamtbestand mit z. B. 500 verschiedenen Instrumentensätzen, die zwischen 2 kg und 12 kg wiegen, in einer 40-Stunden-Arbeitswoche bis zu 1000 kg – oder in anderen Worten: 1 Tonne Gewicht – heben, schieben, bewegen, ziehen oder tragen muss!
Qualifikationen variieren je nach Region
Eine hochwertige Ausbildung gegenwärtiger und zukünftiger AEMP-Mitarbeitender ist äußerst wichtig, und wir sind der Ansicht, dass die Ausbildung der Haupttreiber von Qualität und Patientensicherheit ist. Zu den europäischen Ländern, die diesem Beruf eine größere Bedeutung verleihen könnten, gehören die Schweiz, Deutschland, die Niederlande und Frankreich. Der Ansatz der Schweiz ist systemisch und professionell. Die Ausbildung zum Medizinproduktetechnologen (französische Bezeichnung: Technologue de dispositifs medicaux) besteht in einer dreijährigen Berufsbildung (Lehre). Belimed ist stolz darauf, an der Ausbildung zukünftiger Fachkräfte über die Belimed Academy mitzuwirken, an der Auszubildende in jedem Lehrjahr einen Tag in unserem Schulungszentrum verbringen und dabei mehr über den technischen Hintergrund von Reinigung, Desinfektion und Sterilisierung erfahren. In Frankreich benötigen AEMP-Mitarbeiter noch keine spezifische Berufsausbildung, sondern werden in der jeweiligen AEMP „angelernt“ Umso mehr liegt allerdings der Schwerpunkt bei der Ausbildung auf den AEMP Leitungen. Um die Verantwortung für eine Instrumentenaufbereitung in einer Gesundheitseinrichtung in Frankreich zu übernehmen, muss man einen Doktortitel in Pharmazie mit einer 6-jährigen Spezialisierung in Krankenhauspharmazie haben, was weltweit ziemlich einzigartig ist. In Südamerika müssen Leiter einer AEMP über einen Masterabschluss in Pflege oder über ein ähnliches Niveau der Hochschulbildung verfügen. In den USA gibt es gegenwärtig fünf Bundesstaaten, die eine Zertifizierung für die Tätigkeit in der Sterilgutaufbereitung verlangen: Connecticut, New Jersey, New York, Tennessee und Pennsylvania. In vier weiteren Bundesstaaten wird aktiv eine Gesetzgebung betrieben, um eine Zertifizierung zur Voraussetzung zu machen. Kurz gesagt: Die weltweite AEMP-Gemeinschaft wird sich zunehmend bewusst, dass hohe Ausbildungsstandards erforderlich sind, um Qualität bereitzustellen, und sie arbeitet an verbesserten Bildungsplänen und -standards.
Das Verständnis medizinischer Terminologie kann den Erfolg fördern
Kurse zu medizinischer Terminologie einschließlich Anatomie und Physiologie sind zwar keine Pflichtbestandteile bei allen Ausbildungen zur Sterilgutaufbereitung, doch aus unserer Sicht ist zumindest ein Basisniveau zu Terminologie und ihrem Hintergrund sehr empfehlenswert. In den meisten (Hochschul-)Bildungsprogrammen sind diese Kenntnisse für Berufswege im OP, wie chirurgisch-technische Assistenten, erforderlich, doch in AEMP-Kursen sind sie nicht immer ausreichend vertreten. Ein klares Verständnis davon, welche Körperteile bei einer Operation wie behandelt werden und welche Rolle bestimmte Instrumente dabei spielen, kann AEMP-Technikern helfen, erstens die Funktionalität eines Instruments zu beurteilen, und zweitens gut versteckte und schwer zugängliche Verschmutzungen zu entdecken. Diese spezifische Sprache kann Gesundheitsfachkräften helfen, chirurgische Fälle leichter zu finden, bietet mehr Klarheit beim Lesen von Präferenzkarten und unterstützt beim Verständnis von OP-Plänen. Medizinische Terminologie hilft AEMP-Fachkräften erfolgreich mit den Kollgen vom OP zu kommunizieren und Patientenergebnisse zu verbessern.
AEMPs können gefährliche Orte sein
AEMP-Mitarbeitende können verschiedenen Gefahren am Arbeitsplatz ausgesetzt sein, die zu akuten Verletzungen aber auch zu chronischen Berufskrankheiten führen können. Laut diversen Erhebungen zählt die Tätigkeit eines Aufbereiters Medizinprodukten zu denjenigen im Gesundheitswesen, die eine hohe Rate von arbeitsbedingten Muskel- und Skelett-Erkrankungen (MSE) aufweisen. Diesestehen mit mangelhafter Ergonomie, häufig wiederholten Bewegungsabläufen bei gleichzeitig ungünstiger Körperhaltung und generell mit dem Heben und Bewegen schwerer Lasten im Zusammenhang. In den USA wurden im Zeitraum 2015–2019 62 Prozent der gemeldeten Verletzungs- und Krankheitsfälle bei in der MP Aufbereitung als MSE eingestuft. AEMP-Fachkräfte sind zudem zahlreichen anderen Risiken bei ihrer Arbeit ausgesetzt, wie etwa. einer möglichen Belastung durch Chemikalien wie z.B. falsch angewendeten Desinfektions- oder Sterilisationsmittel, Gefährdung durch scharfe Gegenstände/ Nadeln sowie insbesondere in der Nasszone durch über Blut übertragene Krankheitserreger und Mikroorganismen. Jede AEMP Abteilung muss Sicherheitspraktiken und Schutzkonzepte zur Begrenzung der Exposition, Sicherheitsschulungen zur richtigen Benutzung von Arbeitsmitteln sowie technische Maßnahmen zum Schutz aller Mitarbeitenden haben und auf aktuellem Stand halten.
Qualität kommt zuerst, Quantität steht aber gleich danach an zweiter Stelle
AEMPs sind industrieähnliche Produktionseinheiten, die ihren internen oder auch externen Kunden fortlaufend Produkte liefern. Daraus ergeben sich auch industrieähnliche Arbeitsweisen, wie z.B. Standard-Arbeitsabläufe und Prozessbeschreibungen, um die Qualität zu optimieren und gleichzeitig die Effizienz zu steigern. Eine AEMP-Fachkraft kann in einer Woche an über 160 Instrumentensätzen arbeiten, und jedes Instrument muss genau auf Schäden, Sauberkeit und Funktionalität überprüft werden. Jeder Schritt in dem Prozess ist kritisch, und die Notwendigkeit einer Nachbearbeitung sollte vermieden werden, indem Qualitätspraktiken erarbeitet werden und jeder Fachkraft genügend Zeit gelassen wird, um die Inspektionen sauber abzuschließen. Neben den regulatorisch geforderten Qualitätssicherungswerkzeugen wie Prozessbeschreibungen, Mitarbeiterschulungen etc. kann es hilfreich sein Erkenntnisse aus der Industrieproduktion (zB Lean/ Just-in-time Philosophie) anzuwenden um Produktion hinsichtlich Qualität und Durchsatz zu optimieren. Dazu gehört sicher in erster Linie die räumliche Gestaltung und technische Ausstattung der AEMP selbst, aber dann ebenso Arbeitshilfsmittel, wie gut sichtbare und leicht verständliche visuelle Hinweise, übersichtliche Arbeitsblätter/Checklisten etc. die entscheidend dabei helfen können, hervorragende Produktionsergebnisse zu erzielen. Ein AEMP Leiter muss also neben den bereits genannten klinischen und technischen Kenntnissen auch ein gutes Verständnis von industrieähnlichen Produktions- und Qualitätssystemen haben bzw. mit guter Untestützung von kompetenten internen und externen Partnern in diesem Bereich rechnen können.
Die AEMP ist ein zentrales Element der Hygiene- und Infektionsprävention
Ohne eine ordnungsgemäße Dekontamination, Vorbereitung, Verpackung, Inspektion, Montage, Handhabung, Transport und Lagerung steriler chirurgischer Instrumente und komplexer Medizinprodukte besteht für Patienten eine hohe Gefahr, an einer Krankenhausinfektion (englisch: Hospital associated infection kurz HAI) zu erkranken. Laut einer Studie, die im Jahr 2020 in The Lancet Infectious Diseases veröffentlicht wurde, ist die HAI-Last in der Europäischen Union (EU) hoch, wobei geschätzt 2,5 Millionen Fälle von HAIs jährlich auftreten, was zu ca. 91.000 jährlichen Todesfällen führt. In den USA schätzen die Zentren für Krankheitskontrolle und Prävention (CDC), dass jährlich ca. 1,7 Millionen Fälle von KHI auftreten, was zu 99.000 Todesfällen führt. Weltweit ist die KHI-Last hoch, besonders in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen.
Bei Anwendung guter AEMP Praktiken, kann der Anteil an HAIs, die mit der Aufbereitung in Zusammenhang stehen, auf praktisch null gesenkt werden aber dazu ist die richtige Infrastruktur, die richtigen Prozesse und das richtige Personal notwendig.
Autoren:
Randalyn Walters, Markus Auly
Referenzen und Quellen :
Anderson, Deverick J., et al. "Strategies to Prevent Surgical Site Infections in Acute Care Hospitals” in Infection Control and Hospital Epidemiology, Vol. 29, No. S1, 2008, pp.S51–61. JSTOR, https://www.cambridge.org/core/journals/infection-control-and-hospital-epidemiology/article/abs/strategies-to-prevent-surgical-site-infections-in-acute-care-hospitals/5A47518723D0E020A3F062C6ADB93E96
Bureau of Labor Statistics (BLS). “Survey of Occupational Injuries and Illnesses Data.” U.S. Department of Labor. 18. August, 2021. www.bls.gov
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“Healthcare Associated Infections (HAIs).” Centres of Disease Control and Prevention (CDC), 12. Mai 2023, https://www.cdc.gov/hai/index.html.
Magill SS, Edwards JR, Bamberg W, et al. “Multistate Point-Prevalence Survey of Health Care–Associated Infections ” in New England Journal of Medicine (NEJM). 2014;370:1198-208.
“Point prevalence survey of healthcare-associated infections and antimicrobial use in European long-term care facilities 2016–2017.” European Centre for Disease Prevention and Control. 2023. https://www.ecdc.europa.eu/en/publications-data/point-prevalence-survey-healthcare-associated-infections-and-antimicrobial-use-2016-2017
Healthcare-associated infections in intensive care units - Annual epidemiological report for 2018.” European Centre for Disease Prevention and Control. https://www.ecdc.europa.eu/en/publications-data/healthcare-associated-infections-intensive-care-units-annual-report-2018
“Fact Sheet Ageing and Health.” World Health Organization (WHO). Februar 2018, https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/ageing-and-health.
Über die Autoren
Randalyn Walters, National Clinical Education Manager-US, ist eine sehr erfahrene Expertin in der Gesundheitsbranche. Mit über 16 Jahren Erfahrung in der Sterilgutaufbereitung und einem vielseitigen Hintergrund in der Chirurgie bringt sie eine Fülle von Wissen und Fachkenntnissen mit. Randalyn hat sich auf Prozessverbesserungen, Compliance und Kompetenzen spezialisiert. Ihre umfangreichen Referenzen und ihr Engagement in der klinischen Ausbildung, machen sie zu einer wertvollen Mitarbeiterin in der Branche.
Markus Auly, Head of Scientific Affairs bei Belimed, hat sich sein Fachwissen im Bereich der Wiederaufbereitung von Medizinprodukten in verschiedenen Funktionen und durch umfangreiches internationales Engagement erworben. Mit einem MSc in Biotechnologie und einem Master in Technologiemanagement nimmt Markus Auly an Kongressen rund um den Globus teil, besucht AEMPs und ist Mitarbeiter in etlichen Standard- und Leitlinienkommitees. Außerdem gibt er sein Fachwissen mit Begeisterung als Autor, Dozent und Redner weiter.